Man kann ein Benefizkonzert veranstalten und Karten für den guten Zweck verkaufen – oder man kann den Kartenerwerb selbst als Geschichte zelebrieren. So wie das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen NCT in Heidelberg. Es verkauft keine “Plätze”, sondern Takte. 1188 Stück davon hat das “Concert of Sacred Music” des großen Jazz-Komponisten und Bandleaders Duke Ellington – und jeder einzelne muss eine Käuferin oder einen Käufer finden – nur die Takte, die verkauft werden, werden auch gespielt.
Diese Idee verbindet drei Dinge auf brillante Art und Weise miteinander (ich habe das hier schon mal ausgeführt):
- Jeder Käufer eines Taktes wird zum Paten, jede Käuferin zur Patin des Werks; nur, wer einen oder mehrere Takte kauft, stellt sicher, dass das Musikstück auch in voller Länge erklingen kann. Jeder Pate, jede Patin ist somit Teil der Aufführung selber; ohne den jeweils gekauften Takt gäbe es das Stück nicht. Diese enge Einbindung der Konzertbesucher in das Konzert kann man Involvement nennen; ich würde sogar von einem “High Involvement Product” sprechen, auch wenn der tatsächliche Wert, der Preis eines Taktes, bei eher wenig exklusiven 25 Euro liegt. Aber, es geht um ein größeres Ganzes, das nur in der Gemeinschaft funktioniert.
- Wenn man das Stück in seine Takte zerhackt und diese einzeln “verscherbelt”, wird jedem Musikliebhaber bewusst, wie sehr die “Harmonie des Ganzen” wichtig ist. Fehlen Teile des Musikstücks am Schluss, bricht das Konzert einfach nach dem letzten verkauften Takt ab, ist es nicht mehr intakt. Die Motivation, so viele Takte wie möglich zu kaufen, um das Werk nicht zu verstümmeln, ist eine mächtige Antriebsfeder für jeden Musikliebhaber und daher ein genialer Marketing-Einfall.
- Der dritte Aspekt lenkt den Blick weg von der Musik hin zum Grund für das Benefizkonzert: die Krankheit Krebs. Die Diagnose kommt meist völlig unverhofft, aus heiterem Himmel, und zerstört das unbeschwerte bisherige Leben. Es ist, als ob die Musik urplötzlich aufgehört hätte, zu spielen – und mit dieser Aktion der 1188 Takte könnte dieses Gefühl in der Heidelberger Stadthalle tatsächlich “körperlich spürbar” werden, wenn die Musik tatsächlich plötzlich abbricht. Was man körperlich spürt, wird buchstäblich eindrücklich, man vergisst es so schnell nicht. Dieser Konnex zwischen der jäh abbrechenden Musik und der jäh abbrechenden Lebensfreude durch die Krebsdiagnose ist ein – leider – starkes Symbol.
Die Geschichte, die hier alleine über die Art des eigentlich unspannenden Kartenverkaufs erzählt wird und die den Kartenerwerb selbst zu einer Pflicht macht, um das Werk werktreu halten zu können, ist gutes “Storytelling” aus sich selbst heraus.
Aber am besten kann das sicherlich der in Heidelberg wohnende Dr. Norbert Lehmann vom ZDF-Mittagsmagazin erklären: