Alles ist messbar
Manche möchten ja alles messen. Wie viele rechtsdrehende Joghurts wurden Montagmorgen zwischen 9 und 11 Uhr an Kasse 4 von bärtigen Sandalenträgern mit Bachelorabschluss und einem Mindesteinkommen von 2000 Euro netto erworben? Wieviel häufiger wurden Understitital-Ads zwischen 12 Uhr und mittags auf Instagram angeklickt, auf denen das Unternehmenslogo unten links statt unten mittig platziert worden ist? Und wie war das eigentlich im letzten Monat sowie im vergangenen Quartal und wie haben die drei wichtigsten Mitbewerber dabei performed?
Zentrale Messzahlen sind wichtig
Sicherlich für Zahlenmenschen und die Geschäftsführung (oft ist das leider deckungsgleich) wichtige Daten. KPIs, wie man landläufig sagt, Key Perfomance Indicators. Also zentral wichtige Messzahlen, mit denen man den Erfolg einer Werbe- oder Kommunikationsmaßnahme – meistens sind Apps und Webistes, neuerdings sogar Intranets – messen kann. Wer hat was wie oft gemacht: Das sagen diese KPIs meistens aus. Welche „Zielgruppen“ haben auf welchen Link wie häufig geklickt bzw. welche Inhalte wie lange angesehen? Das ist ja nicht unwichtig, und ich will das niemals bestreiten: Zu einer professionellen Kampagne gehört professionelle Evaluation dazu. Der Content Marketing Circle beispielsweise zeigt sieben Phasen einer Kampagne, andere Metriken oder Methoden kennen noch ein paar Phasen mehr oder auch ein, zwei weniger. In keiner ernsthaften Planung jedoch fehlen die KPIs, die Indikatoren für den Erfolg oder Misserfolg der Kampagne.
„Wir wollten in den vergangenen 14 Tagen 20.000 Menschen zwischen 19 und 14 Jahren erreichen, die im Großraum Hamburg wohnen und sich für großformatige Blumentapeten interessieren“ – haben wir sie nun erreicht oder nicht? „Wir wollten den Zugriff auf unsere Newsfeeds gegenüber dem Vorjahresmonat um 10 Prozent steigern“ – haben wir das geschafft oder nicht? „Wir wollten die Anzahl der Beschwerdeanrufe in unserem Kundencenter gegenüber 2019 um 30 Prozent reduzieren und haben daher die Warteschleifenmusik ausgetauscht“ – und, hey, es wollten sich nun sogar 40 Prozent weniger Leute durchstellen lassen! Ein toller Erfolg fürs ganze Team!
Zentrale Stellschrauben
KPIs sind also strategische Stellschrauben. Es sind nicht einfach irgendwelche Messwerte, zufällig erhoben, weil wir sie halt zufällig messen können. Es sollten im wahrsten Sinne des Wortes „Werte“ sein, die zeigen, in welche Richtung sich meine Kampagne bewegt und bewegen soll. Es sind Werte, die wir interpretieren müssen, aus denen wir Schlussfolgerungen ziehen müssen, die uns zeigen, wo wir Defizite haben. Wie wir die Defizite ausgleichen können – das zeigen uns die KPIs in aller Regel nicht. Das müssen wir uns meist selber zusammenreimen. Kreativ und analytisch, wie wir nunmal alle sind, entwerfen wir also neue Formate oder texten buntere Headlines, optimieren die Klickwege und ändern die Schriftart für die Anzeige auf der Smart Watch. Manchmal sperren wir auch arme Versuchspersonen mehrere Stunden in einen Laborraum und zwingen sie unter Honorarandrohung, sich mit stupiden Usability-Tests traktieren zu lassen.
Kurz: KPIs sind meist keine inhaltlichen Stellschrauben.
Und das ist das Problem. Wir messen mit KPIs oft Dinge, die relativ technisch sind. Und vergessen dabei, dass es die Inhalte selber sind, die wir optimieren müssen. Wenn alle mit Stoppuhren an der 100-Meter-Aschenbahn stehen, aber niemand sprintet – welchen Sinn haben unsere Messungen dann?
Den Puls eines Leichnams messen
Mir kommt es oft so vor, als würden viele Unternehmen zwar viel Geld und Hirnschmalz in die Messtechnik und die Stoppuhren stecken, aber kaum aussichtsreiche Sprinter trainieren.
Ein Beispiel: Ich habe vor Kurzem eine Werbung für ein Webinar gesehen, das mehr oder weniger versprochen hat: „Mit unseren tollen komplexen KPI-Logiken wird Ihr Intranet besser!“ Und ja, das kann ja sein. Es kann ja sein, dass wir tolle neue KPIs finden, die strategisch einen inhaltlich neuen Weg zeigen, damit unsere lahmen und verstaubten und daher erschreckend wenig genutzten Intranets ein bisschen besser „performen“. Dass wir 10 Prozent mehr Klicks auf die Startseite bekommen und 25 Prozent mehr Menschen den Kantinenplan herunterladen. Mag alles sein.
Aber es ist die komplett falsche Strategie. KPIs – klassisch verstanden – haben in einem Intranet keine Relevanz. Denn: Sie messen den Puls bei einem Toten und warten auf die Sprinter, die niemals loslaufen.
Intranets müssen lebendig werden
Viel zu viele Intranets, die ich kenne, sind alles andere als lebendig. Die News sind gähnend langweilig und schon 11 Monate alt, die letztjährige Videoansprache des Vorstands inhaltsleer und diplomatisch rundgelutscht, um ja niemandem auf die Füße zu treten. Die Reisekostenabrechnungsvorlage und das Urlaubsantragsformular sind eingescannte PDFs und das Organigramm ist schon am Tag des Uploads veraltet. Nur Nerds nutzen es. Und die nur unter Schmerzen.
Ein echtes Arbeitsmittel ist es selten. Eher ein Dokumentenfriedhof ohne Austausch, ohne Kommunikation, ohne konstruktive Debatten um den richtigen Kurs. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die so viel wissen und sich schon lange tiefgreifende und konstruktive Gedanken um neue Geschäftsfelder, passendere Führungsstrukturen und optimale Prozesse gemacht haben – sie haben keine Plattform, um diese Ideen zu diskutieren, zu verfeinern, anzupassen und im Konsens zu einer Vorstandsvorlage zu entwickeln. Sie haben kein Wiki, in dem sie sich gemeinsam von ihren Best Practices, ihren Lösungsmöglichkeiten und „Learnings“ erzählen können und damit das ganze Unternehmen voranbringen. Sie haben keine Workflows, die ihnen stupide und fehlerträchtige Verwaltungsaufgaben routiniert abnehmen. Sie haben keinen niedrigschwelligen täglichen Sprachkurs-Happen, mit dem sie ganz nebenbei und mit Freude ihr Englsich aufbessern.
Die meisten Intranets sind öde, dröge und unnötig. Und: Da helfen keine KPIs.
Wir brauchen den Digital Workplace
Wir brauchen also neue Intranet-Konzepte, die den Digital Workplace für das kommende Jahrzehnt modellieren. Wir brauchen Inhalte, die sinnvoll sind und die Arbeit erleichtern und nebenbei die Qualität erhöhen. Und die Spaß machen. Und uns klüger machen. Und uns Skills und Resilienzen und Teamfähigkeit einimpfen, ganz nebenbei durch die tägliche Nutzung. Ein Intranet, das sich selber abschafft und zum Digital Workplace wird. Das „always on“ ist und das alle Mitarbeitenden selbstverständlich nutzen.
Das geht. Das sind durchdachte, redaktionell betreute Social Intranets, wo in Kommunikation und Redaktion, in Geschichten und Debatten, in Empowerment und Kollaboration investiert wird. Und nicht in einen Pulsmesser für ein moribundes System.
Ich möchte solche Intranets bauen und betreiben und jeden Tag mit Impulsen revitalisieren. Und gerne kann passiv irgendwo eine Pulsuhr hängen, die diese Impulse aufzeichnet. Aber die Inhalte und Ideen, die Architektur und Prozesse, die Philosophie und Kultur, die das Intranet neu erfinden und zum Leben erwecken sind die strategischen Stellschrauben. Die KPIs sind es nicht.