Handy, Smartphone und mobiles Internet treiben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung voran. Das Handy ist praktisch, bezahlbar und ersetzt Laptops und PCs, die viel zu teuer und energiehungrig sind.
Afrika digitalisiert sich. Unterschiedlich schnell in den einzelnen Regionen, klar, aber: Es geht zum Teil rasant voran. Vor allem Kenia mit seinem Silicon Savannah entwickelt sich zu einem Startup- und Digital-Hub. Gründer suchen Geschäftsmodelle für das mobile Internet – und finden sie. Hier ein paar (zufälllige) Beispiele, um einzelne Schlaglichter auf die Entwicklung zu werfen.
Überall in Nairobi entstehen Start-Up-Zentren wie 88mph, in denen die Apps der Zukunft für den gesamten afrikanischen Kontinent entwickelt werden. Während europäische Unternehmer noch an Websites für Laptop oder Desktop hängen, haben afrikanische Unternehmer längst die Zukunft für sich entdeckt und wenden sich hauptsächlich an mobile Internetnutzer. Websites gehören in Kenia weitgehend der Vergangenheit an. Heute zählen Apps.
deutsche-startups.de
Die GSMA prognostiziert, dass die Region Subsahara-Afrika die am schnellsten wachsende Region bleibt: 167 Millionen Abonnenten von Mobilfunkverträgen werden bis 2025 hinzukommen. Damit wird die Gesamtzahl der Abonnenten auf knapp über 600 Millionen steigen, was etwa der Hälfte der Bevölkerung entspricht. Handys sind relativ günstig in der Anschaffung, einfach zu bedienen – auch für Menschen mit einem geringeren Alphabetisierungsgrad. Das ist eine wichtiger Faktor in manchen Gegenden Afrikas. Zudem können sie gemeinsam genutzt, im Voraus bezahlt und nach Sekundenpreisen abgerechnet werden, je nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten ihrer Besitzerinnen und Besitzer. In Kamerun, Äthiopien, Ruanda, Tansania und Uganda hatte 2016 nur eines von fünf Handys auch Internetzugang, so das Weltwirtschaftsforum.
In afrikanischen Ländern sind soziale Netzwerke, das Senden und Empfangen von E-Mails, Instant Messaging und die Überprüfung von Fakten und Definitionen die häufigsten Nutzungsmöglichkeiten des Internets, so das Weltwirtschaftsforum in einem Beitrag: How are mobile phones changing Africa? Ein Internet-Zugang ist nicht unbedingt und überall nötig – das Handy kann kreativ genutzt werden.
Als ich meine in Nordmali gelegene Heimatstadt Gao 2004 kurz nach der Ankunft des Mobilfunks besuchte, war ich überrascht, dass die meisten Jugendlichen nicht nur bereits ein Handy besassen, sondern es praktisch nonstop zu benutzen schienen. Später erfuhr ich, dass sie einen Trick herausgefunden hatten, um beinahe gratis zu telefonieren. Sie entwickelten eine Art einfachen Morse-Code: Gewisse Botschaften konnten übermittelt werden, indem man ein- oder mehrmals anrief und gleich wieder aufhängte. Der Empfänger des Anrufs konnte anhand der Telefonnummer und der gesendeten Signale etwa erfahren, ob der Anrufer einen spontanen Besuch oder eine Verspätung ankündigen oder ein vereinbartes Treffen absagen wollte.
Mohomodou Houssouba, NZZ: Mit dem Smartphone die Welt erobern (2016)
Ostafrika als Vorreiter
Ruanda treibt die Digitalisierung stark voran: Alle öffentlichen Dienstleistungen sind über eine Internet-Plattform zugänglich, Anträge werden hier online gestellt – auch über das Smartphone. Große E-Commerce-Plattformen werden aufgebaut und innvovative Lösungen entwickelt – so werden im Einzelfall bereits heute Medikamente per Drohne ausgeliefert. “Im Ausbau ihres digitalen Ökosystems verzeichnen einige Länder Subsahara-Afrikas mit die stärksten Wachstumsraten der Welt, und dabei besteht noch Potenzial nach oben”, so die Website Magility.com. “Entsprechend groß sind die Chancen für die deutsche Wirtschaft in diesem aufstrebenden Wachstumsmarkt Innovationen zu betreiben.”
Digitalisierung made in Africa: Sie entsteht vor allem in Hotspots wie dem “Silicon Savannah”. Dort wurde bspw. eine Lernhilfe-App entwickelt, die in den nächsten Jahren 50 Millionen Schüler erreichen soll. Eine besondere afrikanische Innovation sind Solaranlagen, die direkt an das Mobiltelefonnetz angeschlossen werden: “Ein Solarpanel, eine Batterie, Elektroinstallation, ein Fernseher und ein mit einer SIM Karte ausgestattetes Steuergerät werden an Haushalte verleast. Über das Steuergerät werden die Raten per mobile money bezahlt. Heute sind in Afrika eine Million ländliche Haushalte mit solchen Anlagen ausgestattet.”, so Hans Stoisser in einem Artikel für trend.at.
Die Liste der in der kenianischen Hauptstadt entwickelten Anwendungen der Mobilfunktechnik ist schon heute lang wie ein Giraffenhals. Nutznießer sind neben Kleinbauern, die über ihr Handy Sturmwarnungen oder die aktuellen Preise für ihre Produkte abfragen, Pendler, die ihr Busticket online buchen können, oder Kranke, die ihre Arztbesuche über ein handygestütztes Konto abrechnen.
Brand Eins: Auf dem Sprung (2019)
Der Mobilfunk läutete auch eine Informationsrevolution auf dem afrikanischen Kontinent ein. “Dies ist tatsächlich die erste bedeutende Revolution, die direkt auf die verstärkte Nutzung der Mobiltechnologie auf dem Kontinent zurückgeführt werden kann”, so Syl Renner. So hat zum Beispiel die verstärkte Nutzung von Mobiltelefonen unter Afrikanern unweigerlich zu einer breiten Zugänglichkeit des Internets über mobile Geräte geführt. Infolgedessen haben Afrikaner, vor allem die Jugend, jetzt uneingeschränkten Zugang zu sozialen Netzwerken, die die Bürgerbeteiligung und Selbstdarstellung fördern und dadurch die Regierungsführung, die Wahlen und die Rechenschaftspflicht der Amtsinhaber beeinflussen.
Bildung, Landwirtschaft und Gesundheit profitieren erheblich von Mobile. “Die Verfügbarkeit von Smartphones und Tablets hat es afrikanischen Wissenschaftlern ermöglicht, einen besseren Zugang zu einer Vielzahl digitaler Bücher zu erhalten. Sie hat auch dazu beigetragen, dass sich mehr Afrikaner für verschiedene Online-Kurse anmelden, die von amerikanischen und europäischen Hochschuleinrichtungen angeboten werden”, so Syl Renner. Dieser Trend hat sowohl die Alphabetisierungsrate des afrikanischen Kontinents als auch die beruflichen Fähigkeiten der Afrikaner stark verbessert. Das Ergebnis wird durch die Teilnahme von online-basierten Unternehmensorganisationen, deren oberstes Ziel es ist, den Zugang der Afrikaner zu digitalen Inhalten zu verbessern, noch verstärkt.
Bessere Entscheidungen durch mobile Daten
Mobilfunk durchdringt den Kontinent – und erspart aufwändige und oft auch gefährliche Reisen. Ein Beispiel ist ein Monitoringprogramm der Weltbank: Listening to Africa. Es will das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger in ausgewählten afrikanischen Ländern messen und nutzt dazu Mobiltelefone. Über die Auswertung von Mobilfunkdaten und Interviews mit Betroffenen vor Ort erhält die Weltbank deutlich mehr und deutlich detailliertere Daten als bislang. Diese Art der Erhebung von Daten ist kostengünstig, schnell – und ermöglicht es, Daten von Menschen zu erheben, die sonst schwer zu erreichen sind. Zusammen mit einer NGO in Tansania wurde das Konzept vor zehn Jahren gestartet – und hat mittlerweile gezeigt, dass es tatsächlich möglich ist, zuverlässige Daten über Mobiltelefone zu sammeln. Die Weltbank nutzt “Listening to Africa” in Madagaskar, Malawi, Mali, Senegal, Tansania und Togo. Eine der größten Herausforderungen dabei: Wie können zuverlässig Daten gesammelt werden von Menschen, die möglicherweise Analphabeten sind?
In Africa, we have used mobile phones to monitor the Ebola crisis in West Africa, floods in Dar-es-Salaam and Malawi, forced displacement in Mali, and the conflict in northern Nigeria —so we know it can be done, and done quickly. Based on our experience, mobile phone surveys are an extremely valuable tool not only to assess a crisis but also to measure the efficiency of the response to it.
Weltbank-Blog: Let’s invest in mobile phone surveys to monitor crises
Beispiel Madagaskar: 2014 verschlechterte sich dort die Nahrungsmittellage. In einer Umfrage im Juli 2014 gaben 33 % der Befragten an, dass sie sich Sorgen darüber machen, dass sie in einem bestimmten Zeitraum von sieben Tagen nicht genügend Nahrungsmittel haben werden. In nachfolgenden Umfragen stieg diese Zahl Januar 2015 auf 48 % und bis September 2015 auf 50 %. Die Krise wurde also größer, und je eher die Regierung diese Krise erkennt, desto früher könnte sie gegensteuern. Die Umfragen wurden nicht als traditionelle Haushaltsumfrage durchgeführt – diese wären kostspielig und zeitaufwändig. Sie wurden über Mobiltelefone gemacht, mit häufigen Aktualisierungen. So konnte die Regierung tatsächlich schneller auf die Situation reagieren.
In Madagaskar wurden in einer Stichprobe 2.000 ländliche und städtischen Haushalte befragt. Herausforderungen dabei, so die Weltbank: Einige Haushalte hatten zwar Zugang zu einem Mobilfunknetz, besaßen aber keine Mobiltelefone. Die Weltbank verteilte die Geräte daher an alle ausgewählten Haushalte. Und weil es häufig zu Stromausfällen kommen kann und die Befragten ihr Mobiltelefon nicht laden konnten, erhielten sie kleine Solarladegeräte. Die nächsten Schritte sind, diese Mobilfunkumfragen mit Frühwarnsystemen zu koppeln, um den Ausbruch von Ernährungskrisen noch früher erkennen zu können. Das Koppeln von Umfragen mit anderen Daten kann auch helfen, frühzeitig einen Ebola-Ausbruch zu erkennen oder um den Zugang zu und die Qualität von Gesundheitsdiensten zu überwachen.
“Die mobile Revolution verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten. Zum Besseren”.
Makhtar Diop, Vizepräsident der Weltbank für Afrika
Bargeldlos bezahlen in Afrika
Was in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, ist in Afrika Normalität: bargeldloses Bezahlen mit dem Handy. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich Mobile Payment in vielen Ländern des Kontinents durchgesetzt. Von Kenia aus hat es sich über den ganzen Kontinent ausgebreitet, weil es enorm praktisch ist. Kreditkarten und moderne westliche Zahlungssysteme gibt es in vielen Ländern Afrikas nicht, Geldautomaten, Bankfilialen, Kassen fehlen. Auch Bankkonten waren Luxus: Wer Geld verdient hat, hat es in bar bekommen und musste es dann bspw. aufwändig in langen Reisen von der Stadt in sein Heimatdorf bringen. Oft kam es dort nicht an – Kriminelle wussten, dass in den Bussen aus der Stadt Menschen sitzen, die viel Bargeld bei sich haben. Das Mobiltelefon war die Lösung – und das Überweisen auch kleinster Geldbeträge per SMS.
https://www.theafricareport.com/25846/africa-over-500-million-mobile-money-users-expected-in-2020/
Lesetext: Beitrag der Deutschen Welle
Mobile Lösungen in der Pandemie
Die Corona-Pandemie ruft nach Lösungen, Tools, digitalen Anwendungen. Afrika ist hier besonders innovativ, wie ein Beitrag des Weltwirtschaftsforum in Davos erläutert. Dei Regierung Südafrikas beispielsweise nutzt einen interaktiven WhatsApp-Chatbot. Er beantwortet häufige Fragen Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten und stellt COVID-19-Mythen richtig. Der Chatbot kann derzeit in fünf Sprachen benutzt werden und soll weltweit eingeführt werden.
Von einem WhatsApp Chatbot bis hin zu einem Selbstdiagnose-Tool entwickeln Afrikaner mobile technische Lösungen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, da sie befürchten, dass dieser für die Schwächsten des Kontinents katastrophale Auswirkungen haben könnte.
Weltwirtschaftsforum Davos
In Nigeria gibt es ein kostenloses Online-Tool, mit dem die Benutzerinnen und Benutzer ihre Symptome und mögliche Ansteckungssituationen eingeben können. Das Tool berechnet dann die Risikokategorie der Benutzer, erhalten online medizinischen Rat oder werden zu einer nahegelegenen Gesundheitseinrichtung umgeleitet. Die Zahl der unnötigen Anrufe bei den Hotlines hat sich durch das Tool reduziert.
Verkäuferinnen auf Märkten in Uganda nutzen die “Market Garden App”, die die Verbreitung des Virus zu verringern hilft. Über die App können die Verkäuferinnen Obst und Gemüse sicher von zu Hause aus verkaufen. Die Ware wird dann mit Motorrad-Taxis an die Kunden geliefert. Die Bezahlung erfolgt bargeldlos ebenfalls über die App. Diese Plattform fördert also das Social Distancing und ermöglicht den Verkäuferinnen trotz Corona ein Einkommen.
Afrikanische Lösungen
Energieversorgung
“Die Internet-Konnektivität macht den Zugang zu Elektrizität zugänglicher, erschwinglicher, sauberer und personalisierter”, schreibt das Weltwirtschaftsforum in seinem Beitrag “Three unexpected ways the Internet is transforming Africa”. So hat ein Start-up Dachziegel entwickelt, die Strom erzeugen. Diesen Strom können die Hausbesitzer verkaufen. Ein anderes Start-up nutzt das Internet der Dinge: Afrikanerinnen und Afrikaner können ihren Stromverbrauch in Echtzeit verwalten. Ist die Nachfrage nach Elektrizität gerade hoch, erhalten die User eine Warnmeldung. Sie können dann das Gerät abschalten, das den meisten Strom verbraucht. Dafür werden sie mit Punkten belohnt, die sie später für Tablets, Telefone, Internet oder Strom lösen können. Die Firma M-KOPA Solar hat ihre Solartechnologie mit Mobilfunkdaten und Cloudanwendungen verknüpft. Das versetzt Nutzende in die Lage, Strom über ein Pay-as-you-go-Modell kaufen zu können.
Wilderei verhindern
In Afrika ist die Wilderei von Nashörnern eine ständige Herausforderung. Seit 2008 haben die Wilderer schätzungsweise sechstausend afrikanische Nashörner getötet. In der Vergangenheit wurden diese Tiere mit Funkhalsbändern und Satelliten-Uplinks aufgespürt. Es erweist sich jedoch als wirksamer, diese Tiere mit dem Internet zu verbinden. In einem der größten Naturschutzgebiete Ostafrikas werden die kleinen Sender mit der Cloud und maschinellem Lernen kombiniert. So können gefährdete Arten nicht nur in Echtzeit verfolgt werden, sie helfen auch, die natürlichen Verhaltensweisen der Nashörner besser zu verstehen.
Menschliches Potenzial freisetzen
Obwohl die vorherrschende Nutzung des Internets in Afrika der Zugang zu sozialen Medien ist, wächst die Innovation rund um diese Technologie. Diese Innovation wird nur weiter wachsen, wenn sich die Internetdurchdringung und die digitalen Fähigkeiten verbessern. Um Michael Dell zu zitieren: “Technologie erschließt menschliches Potenzial auf der ganzen Welt”. Es ist nicht das Potenzial des Internets, das uns erstaunt, sondern das Potenzial der Menschen, die es auf unerwartete – und außergewöhnliche – Weise nutzen.
Aber: Die Kosten für einen Mobilfunkvertrag oder die Nutzung von Online-Diensten bleiben für Teile der ärmeren Bevölkerung ein Problem. Daher sind innovative und kostengünstige Lösungen besonders gefragt.