Harald Ille
am
31. Juli 2012

Marie Marcks

Vor rund fünfzig Jahren hat Marie Marcks angefangen, Karikaturen zu zeichnen. Brigitte, Titanic, Zeit, Stern haben unzählige ihrer Zeichnungen gedruckt, über dreißig Bücher hat sie selbst gestaltet, in drei Dutzend…

Das Caricatura Museum zeigt das zeichnerische Lebenswerk von Marie Marcks

Frankfurt am Main (pia) Die Einfälle kamen beim Spazierengehen im Wald. Immer einen Zettel in der Tasche, um den Geistesblitz festhalten zu können – auch heute, mit fast neunzig Jahren, hat sie den Zettel dabei. „Aber jetzt schreibe ich natürlich andere Dinge auf“, kokettiert Marie Marcks mit ihrem angeblich nachlassenden Gedächtnis, das gleichwohl präziser arbeitet als bei manchem Enddreißiger. Den runden Geburtstag feiert sie am 25. August, und weil ihr ihre Heimatstadt Heidelberg dazu nur eine Mini-Ausstellung mit neun Werken ausrichtet, rächt sie sich auf ihre typische Weise: Sie hat die Stadtspitze kurzerhand ins Caricatura nach Frankfurt eingeladen, „damit die mal sehen, wie man eine Ausstellung macht“. Auch mit Neunzig hat sich Marie Marcks ihre rechtschaffene Empörung bewahrt – diese treibt sie an, und sie macht ihr ohne falsche Scheu Luft.

Karikaturistin aus Atomangst

Der Ärger über die politischen Um- und Zustände war es auch, der sie Anfang der Sechziger Jahre zur Karikaturistin werden ließ. „Mein erstes Interesse war die atomare Hochrüstung: Die Amis wären bereit gewesen, den Erstschlag zu machen – das hat man heute längst vergessen.“ Die Grafikerin und Illustratorin, bereits Anfang Vierzig, greift zum Stift und zeichnet gegen die atomare Bedrohung an – zur Kubakrise 1962 etwa einen Adam, der sich inmitten von Trümmern in einem Bunker zu verschanzen sucht, während Eva an einem zerborstenen Stamm nach dem letzten verbliebenen Apfel angelt. Mann und Frau, Natur und Atom werden zu Hauptmotiven der Satirikerin, wobei sie die Frauen als außergewöhnlich stark und das Atom als außerordentlich perfide darstellt, weil es sich zu verstecken weiß: in harmlos weggeblasenen Pusteblumen oder – nach Tschernobyl ganz konkret – im alltäglichen Gemüse auf dem Wochenmarkt.

Politisch und parteilos

Aber natürlich wehrt sich Marie Marcks sogleich, wenn man solche „Hauptmotive“ zu entdecken glaubt: „Die Schwerpunkte meines Werkes wurden alle von anderen erfunden!“. Selbstverständlich ist sie eine Ikone der Frauenbewegung, aber: „Ich habe der Frauenbewegung nie angehört und keiner Partei. Das kann ich mir als Karikaturistin nicht leisten.“ Um die Sache geht es, etwa eine Frauenquote für Vorstände: „Ohne Quote funktioniert es nicht. Die Frauen haben so zum ersten Mal die Gelegenheit, sich zu bewähren.“ In der Komischen Kunst hat es auch lange gedauert, bis Frauen akzeptiert wurden – sie signiert bis heute mit einem geschlechtsneutralen „M. Marcks“. „Es is‘ ja nüscht, was ’ne Frau macht“, sagt sie provokativ-nachdenklich und im Berliner Idiom ihrer Kindheit, „weil es auf jeden Fall in Frage gestellt wird“.

Rollenbilder vom Kopf auf die Füße gestellt

Was Männer machen, scheint indes kaum profunder zu sein. Der alte Atlas etwa schleppt sich seit Jahrtausenden sinnlos mit der schweren Erdkugel ab. Marie Marcks mütterlicher Rat an den Titanen: „Roll doch das Ding, Blödmann!“ Fünf Kinder hat sie großgezogen, weitgehend als Alleinerziehende, und ihr Familienleben schrieb die besten Geschichten – kein Wunder, dass „Frauen“ und „Jugend“ ihre wohl wichtigsten Themen wurden. Die Verlegerin Antje Kunstmann hat daran großen Anteil; noch keine zwanzig Jahre war sie alt, als sie Marie Marcks auf der Buchmesse ansprach. „Weißt Du, dass Du schön bist?“ hieß 1974 beider erstes Buch mit Marckschen Frauen-Bildern, das das traditionelle Rollenverständnis auf den Kopf stellte. Es war eine Frau, die den schüchternen Jüngling verführte mit dem, „was sonst eine Frau dauernd zu hören bekommt“.

Zeichnungen zum Übers-Bett-hängen

Was Marie Marcks selbst auf der Straße zu hören bekommt, wird oftmals prompt ein Buchtitel. „Niemand welkt so schön wie Du!“ (2005) war ein etwas verunglücktes Kompliment, das der Verehrer ihrer gleichaltrigen Nachbarin dieser zugedacht hat. Oder die lächerliche pädagogisch-verkopfte Ersetzung von „Mutter“ und „Vater“ in „Ich habe meine Bezugsperson verloren!“ (1974). Ihre Themen weisen meist über den Tag hinaus. Die Heidelbergerin musste ihre Zeichnungen für die „Süddeutsche“, die „Zeit“ und die „Brigitte“ ja mit der Post nach Hamburg oder München schicken, ein geografischer Nachteil gegenüber ihren dort wohnenden Kollegen: „Ich war immer einen Tag in Verzug, da habe ich mir längerfristige Sachen rausgepickt.“ Dadurch sind die Werke aber auch gefälliger als manch garstige tagespolitische. Ihre Szenen aus dem Familienleben, vor allem aus der Pubertät der Sprösslinge, bleiben zeitlos aktuell, „alle finden sich wieder“.

Mit Lobhudelei nichts am Hut

Zum neunzigsten Geburtstag ehrt sie nun das Caricatura – Museum für Komische Kunst im Frankfurter Leinwandhaus mit einer Ausstellung von rund 300 Werken. Und natürlich hat Marie Marcks an dieser überbordenden Lobhudelei etliches auszusetzen – zu viele Werke, zu falsches Logo, zu kühles Wetter bei der Eröffnung. Aber ein bisschen stolz ist sie schon, dass das Museum sie nicht nur ehrt, sondern auch seit längerem schon Werke von ihr aufkauft. Ein Museum, in dem sie mit anderen Heroen ausgestellt ist: der viel jüngeren Franziska Becker, von der sie immens viel hält, und dem leicht jüngeren Hans Traxler: „Den finde ich in Deutschland den King schlechthin.“ Antje Kunstmann und F.W. Bernstein, ein weiterer Heroe der Komischen Kunst, werden bei der Vernissage am 8. August eine Lobrede auf sie halten, Emil Mangelsdorff und Thilo Wagner umrahmen die Eröffnung musikalisch. Bis 21. Oktober ist die Werkschau dann zu sehen.

Harald Ille

Weitere Informationen auf http://www.marie-marcks.de und http://www.caricatura-museum.de

[erschienen am 31. Juli 2012 als Feature des Presse- und Informationsamts.]

Harald Ille

Zwölf Jahre war ich Corporate Communicator einer deutschen Großstadt. Kommunale Kommunikation liegt mir weiter am Herzen.