Harald Ille
am
29. Juli 2010

Pudelmütze fürs Verkehrsschild

Gezielt einkaufen, um klimafreundliche Geschäfte zu unterstützen: Diesen Trend fördert die Frankfurter Firma “KarmaKonsum”. Mit ihrer Teilnahme an der internationalen “CarrotMob-Bewegung” mobilisiert sie eine großstädtische Kundschaft, die nachhaltig und gesund leben möchte – und dafür auch gerne ein paar Euro mehr ausgibt.

Trendforscher Christoph Harrach ist den Lebensstilen der “LOHAS” auf der Spur

Frankfurt am Main (pia) “Wie können wir die Welt wandeln?” fragt der Frankfurter Unternehmensberater Christoph Harrach. Und gibt die Antwort selbst: “Do it yourself”. Der Yogalehrer und baldige Doktor der Wirtschaftswissenschaften hat eine Zwei-Mann-Firma im trendigen Frankfurter Nordend gegründet, die dem modernen urbanen Lebensstil nachspürt – gesund leben, nachhaltig wirtschaften, verantwortlich konsumieren. In diesem Quartier, in dem überdurchschnittlich viele gut verdienende Akademiker in stilvollen Altbauten leben und mit dem Designer-Fahrrad zum Bio-Laden fahren, arbeitet der Trendforscher mit seinem Geschäftspartner Noel Klein-Reesink quasi mitten im LOHAS-Freiluftlabor (Lifestyles of Health and Sustainability).

Radeln gegen die Überlegenheit der Autos

Christoph Harrach holt mit seiner Firma “KarmaKonsum” die sichtbaren wie die noch verborgenen Trends ans Tageslicht. Und nimmt an neuen Protestformen teil: Jeden ersten Sonntag im Monat trifft sich eine große Gruppe begeisterter Radfahrer vor der Alten Oper – um dort eine “critical mass” zu bilden. Wenn mehr als 15 Radler gleichzeitig in dieselbe Richtung fahren, bilden sie einen Pulk – und der hat immer Vorfahrt. “Es geht nicht darum, Autofahrer zu ärgern, sondern um eine Demonstration, wie sehr wir uns an den Vorrang der Autos gewöhnt haben”. Wenn Harrach für den Pulk eine Kreuzung sperrt, wird das Machtungleichgewicht deutlich: Als Teilnehmer der Critical Mass stellt er sich mit seinem Rad gegen vier Spuren wartender Autos.

Mit dem Einkauf belohnen

In der Stadt bekannt geworden ist “KarmaKonsum” aber durch ein ebenso einfaches wie geniales Klimaschutz-Belohnungssystem: dem “CarrotMob”. Wie viele Lifestyle-Ideen stammt auch diese Philosophie aus Kalifornien, hat mittlerweile aber längst die Shopping-Meilen deutscher Großstädte erreicht – eben auch Frankfurt. Viele hundert Menschen verabreden sich dabei im Internet, um an einem bestimmten Tag bei einem bestimmten Laden einzukaufen. Vierhundert Kunden haben sich schon in Frankfurt gefunden, die in drei Stunden fünftausend Euro in einem kleinen Geschäft ausgegeben haben – sonst hat der Ladenbesitzer gerade einmal dreitausend Euro am Tag in der Kasse. Der erste Teil der Idee ist, Ladeninhaber, die sich ethisch oder ökologisch vorbildlich verhalten, mit zusätzlichem Umsatz zu belohnen. Zuckerbrot statt Peitsche also; Geld für die Guten statt Boykott der “Bösen”. Einen bestimmten Teil des zusätzlichen Umsatzes – das ist der zweite Teil der Idee – muss der Ladeninhaber wieder investieren. In einen energieeffizienten Kühlschrank, in Strom sparende Kassen, in Wärmedämmung. Ein unabhängiger Energieberater sagt dem Ladenbesitzer, welche Klimaschutzmaßnahme sinnvoll ist. Der nächste Frankfurter Carrotmob ist im September geplant. Diesmal soll eine Gaststätte bemobbt werden.

Bürgerengagement in neuer Form

Ganz selbstverständlich ist Frankfurt vorne mit dabei, ist deutscher CarrotMob-Meister mit dem meisten Umsatz pro Aktion. Für Christoph Harrach eine Folge der sozioökonomischen Struktur der Bankenmetropole: Frankfurt ist die Stadt des Geldes, in der viel Geld verdient und zunehmend auch sinnvoll ausgegeben wird. Frankfurt ist die Stadt der Stifter und eine der Gründungsstädte der Öko-Bewegung – ein guter Nährboden für den “CarrotMob” und andere Events, die wirtschaftliches und ökologisches Handeln miteinander verzahnen wollen. “Bürgerengagement in neuem Format” sieht der Wirtschaftswissenschaftler Harrach hier entstehen. Die Frankfurter Caritas bildet etwa Langzeitarbeitslose zu Energieberatern weiter, zusammen mit dem städtischen Energiereferat. Ein anderes Projekt bildet arbeitslose Frauen zu Mode-Designerinnen aus – mit dem eigenen Style-Label “Affentor”. “Solche Dinge brauchen wir”, sagt der Unternehmensberater, der selbst schon bei einem hessischen Öko-Modelabel gearbeitet hat. “Das ist sinnvoller als sonstige Ein-Euro-Jobs. Die Arbeitslosen leisten einen wertschöpfenden Beitrag, sind in der Community anerkannt.” Hilfe zur Selbsthilfe, dieses Prinzip des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus hat der “Designer des Wandels” Harrach verinnerlicht: “Jedes soziale Problem kann wirtschaftlich gelöst werden”. Nachhaltigkeit: das ist für den Trendforscher das bestimmende Thema der Zukunft.

Öko-Bewegung ist angekommen

“Wir wollen einen neuen Spirit im Business entwickeln”, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, der einmal im Jahr deutschlandweite Vordenker nach Frankfurt holt – zweimal bereits hat seine “KarmaKonsum-Konferenz” im steinernen Symbol des Frankfurter Wirtschaftsstrebens getagt: in der Börse. “Wir wollen die erste und die zweite Öko-Generation miteinander vernetzen: Der ersten Generation fehlt die zeitgemäße Präsentation, der zweiten fehlt noch die Erfahrung.” Dass die Öko-Bewegung von heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, zeigt nicht nur der Tagungsort: mit der Frankfurter Wirtschaftsförderung, der Tourismus+Congress GmbH sowie der Industrie- und Handelskammer helfen hochseriöse öffentliche Institutionen beim Vernetzen mit. “Wir machen Standortmarketing für Nachhaltigkeit”, so Christoph Harrach. “Das ist kein Elitethema, nicht nur was für die Oberschicht.”

Stricken statt sprühen

Von dieser Oberschicht fordert Harrach, das neue Lebensgefühl vorzuleben. Manche Hollywoodstars sitzen bereits in Teestuben und stricken ihre eigenen Pullover – weil das kreativ ist und Kinderarbeit so keine Chance hat. So kreativ, dass sogar Sprayer ihre Sprühdosen zur Seite legen und jetzt in “Strick-Graffiti” machen. Die regional erzeugte Pudelmütze für das frierende Straßenschild kann wieder rückstandsfrei entfernt werden. Nachhaltig leben und beruflich wirksam sein – das ist das Ziel. Und dabei noch Spaß zu haben. Schöne neue Welt…

Harald Ille

(Dieser Artikel ist am 29. Juli 2010 als Feature des Presse- und Informationsamtes erschienen.)

Harald Ille

Zwölf Jahre war ich Corporate Communicator einer deutschen Großstadt. Kommunale Kommunikation liegt mir weiter am Herzen.