Harald Ille
am
9. Oktober 2007

Rosemarie Nitribitt

Die verruchte Geschichte um vermeintliche Wirtschaftsspionage und das sündige Leben der oberen Zehntausend bewegte die Frankfurter Nachkriegsgesellschaft. Rosemarie Nitribitt, deren Markenzeichen das schwarze Mercedes-Cabrio war, wurde 1957 umgebracht. Bis heute…

Die „Edelprostituierte“ Rosemarie Nitribitt starb im Oktober vor 50 Jahren

Frankfurt am Main (pia) „Neben Johann Wolfgang von Goethe ist sie die Frankfurter Persönlichkeit, um die sich die meisten wahren und unwahren Geschichten ranken“, sagt Stadtführer Christian Setzepfandtdie Nitribitt. Die Frau, die bei ihrem gewaltsamen Tod erst 24 Jahre alt war und die „die Stadt Frankfurt erst richtig bekannt gemacht, auch ihren eigenartigen Ruf begründet“ habe, wie die Frankfurter Neue Presse zum 20. Todestag schrieb. Die aber auch „fast ein Symbol des Wirtschaftswunders“ war, wie es die Frankfurter Rundschau 1977 sah. Wirtschaftskapitäne waren bei ihr ein- und ausgegangen, ein verstecktes Tonband will man gefunden haben, gar eine geheime Kamera – und ehrenwerte Bonner Politiker soll Furcht vor der Adresskartei der jungen Frau befallen haben. Ein Real-Life-Krimi also, der in der Nachkriegszeit geschrieben wurde.

Rosalia Annemarie Nitribitt kam am 1. Februar 1933 in Düsseldorf zur Welt und lebte in einem Waisenhaus, bis sie fünf Jahre alt war. Mit 14 wurde sie in ein Erziehungsheim eingewiesen und mit 18 wegen Landstreicherei verhaftet. Spätestens mit 20 arbeitete sie in Frankfurt als Prostituierte unter dem Namen „Rebecca“. Ausnehmend schön soll sie nicht gewesen sein. Das sagen die, die sie von Ferne kannten. Und die wenigen Fotos, die immer wieder abgedruckt wurden in den letzten fünfzig Jahren, zeigen in der Tat keine Miss Germany der Fünfziger. Aber eine Grande Dame mit Nerzmantel und Brillantring, großem Hut und dem berühmten schwarzen Mercedes-Cabrio – ihrem wohl wichtigsten Marketing-instrument.

Dennoch sagte man ihr Geiz nach. Und trotz aller Geschäftstüchtigkeit – sie soll 11.000 Mark im Monat verdient haben – Einfalt. Am 1. November 1957 findet eine Polizeistreife die Leiche der „blonden Rosi“ in ihrer Wohnung. Sie wurde erwürgt, wohl schon ein paar Tage zuvor, ein Raubmord konnte ausgeschlossen werden. War der Mörder ein Bekannter oder ein Kunde? Die Ermittlungen waren schwierig, und die Presse spekulierte wild: Erpressung, Spionage? Alles schien möglich. Ein Stahlbaron aus Essen, ein Kugellagerhersteller und sein als Playboy verschriener Sohn, ein bayrischer Autobauer – sie sollen in ihrem „Liebes-Notizbuch“ aufgeführt sein, das aus Datenschutzgründen noch zwanzig Jahre im Wiesbadener Hauptstaatsarchiv unter Verschluss bleiben wird. „Bis zu einer Viertelmillion“ will einer der genannten für das pikante Asservat geboten haben, wusste die Bild-Zeitung zu berichten.

Vieles spricht aber dafür, dass der 35 Jahre alte Heinz Pohlmann der Täter war. Obwohl chronisch pleite, traf er sich oft mit „Rebecca“. Ende Oktober hatte er einen großen Teil seiner Schulden beglichen und ein neues Auto gekauft – in bar. Das Geld dazu hatte er wohl aus Rosemarie Nitribritts Geldkassette, die sich einen neuen Brillantring zulegen wollte. Pohlmanns Alibi war lückenhaft, er verstrickte sich in Widersprüche. Am Mordtag soll er Blut an der Hose und der Lippe gehabt haben. Am 12. Juli 1960 spricht ihn das Frankfurter Schwurgericht nach 33 Verhandlungstagen aber frei: aus Mangel an Beweisen. Seine Geschichte erzählt er exklusiv in der Illustrierten „Quick“– ehe ihn angeblich die Essener Stahlbarone mit 50.000 Mark „zum Schweigen brachten“. War er’s – oder kam der Mörder aus den höchsten Kreisen der Republik? Selbst Frankfurts Kripochef und der Vorsitzende Richter waren noch Jahrzehnte nach der Tat uneins, ob Pohlmann der Täter war oder nicht. Und genau dies macht für die Frankfurter Historikerin Marie-Luise Recker die Brisanz dieses Mordfalls aus: „Ohne Zweifel hat die Tatsache, dass der Tod der ‚blonden Rosi’ nie aufgeklärt, die Tat nie gesühnt wurde, zu der Aura des Undurchsichtigen und Abgründigen beigetragen.“

Die verruchte Geschichte um vermeintliche Wirtschaftsspionage und das sündige Leben der oberen Zehntausend gab dem Fall seinen unwiderstehlichen Dreh. „Der Fall Nitribitt hat genau in die Zeit gepasst“, erklärt Marie-Luise Recker: Verklemmt und moralisch bieder habe man geglaubt, einen Blick in die „Welt der Großen“ werfen zu können. „Das Mädchen Rosemarie ist unwichtig“, urteilte daher die FNP schon vor dreißig Jahren. Ohne den seltsamen Namen, der einigen Zeitgenossen wie eine Mischung aus den Sprengstoffen Nitroglyzerin und Ekrasit vorkam, wäre der Fall sicher nie so berühmt geworden. Er taugte aber mehrfach auch fürs Kino und für die Bühne – und hielt sogar die Politik in Atem. Gegen Rolf Thieles Film „Das Mädchen Rosemarie“ wurde 1958 das Auswärtige Amt aktiv, das eine gute Platzierung bei den Filmfestspielen in Venedig zu verhindern suchte – der Film hätte das Ansehen des Wirtschaftswunderlandes zu sehr beschmutzt. Und sogar Hans Eichel musste sich 1992 gegenüber dem Hessischen Landtag rechtfertigen: Seine Staatskanzlei hatte Rosemarie Nitritbitt nolens volens „geadelt“ und ihren 35. Todestag in die offizielle Gedenkliste der Landesregierung eingetragen.

Der Fall fasziniert bis in die jüngste Vergangenheit und klebt an Frankfurt wie Nachkriegskaugummi. Setzepfandts Nitribitt-Führungen sind immer gut besucht, und selbst „Die Zeit“ wähnte die junge Selbstständige jüngst noch mit ihrem Mercedes durch die Stadt kutschierend. Viel Publicity für ein letztlich eher unspektakuläres Verbrechen, und so resümierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im letzten Herbst: „Die juristische und kriminalistische Geschichte des Skandals endet in einem wenig aufregenden Nichts-Genaues-weiß-man-nicht.“

Rosemarie Nitribitt indes hat ihre letzte Ruhe auf einem Düsseldorfer Friedhof gefunden.

Harald Ille

Der Artikel erschien am 9. Oktober 2007 als „Wochendienst“ des Presse- und Informationsamtes.

Harald Ille

Zwölf Jahre war ich Corporate Communicator einer deutschen Großstadt. Kommunale Kommunikation liegt mir weiter am Herzen.