Frankfurter Museum für Komische Kunst zeigt Werke von Chlodwig Poth
Frankfurt am Main (pia) 16.000 Einwohner groß, 600 Hektar klein, eigene Autobahnausfahrt. Das ist der Frankfurter Stadtteil Sossenheim. Und eigentlich wäre damit schon das Wichtigste über diesen Ort gesagt – wenn Chlodwig Poth ihm ab 1990 nicht zu bundesweiter Beachtung verholfen hätte. Im Jahr nach dem Kinoerfolg „Last Exit Brooklyn“ erschien in der Frankfurter Satirezeitschrift „Titanic“ die erste Bildergeschichte aus und über diesen Vorort, und jeden Monat zeichnete der bärtige Satiriker eine weitere; bis zu seinem Tode im Juli 2004. Programmatischer Titel: „Last Exit Sossenheim“. Poth hat seinem Wohnort damit ein dort ungeliebtes Denkmal gesetzt – in der maltechnisch leicht irrsinnigen Kombination aus Tuschefeder und Aquarellfarben.
Im Alten Schulhaus sprüht die Inspiration
„Sossenheim, zwischen zwei Autobahnen und zwei großen Chemiewerken gelegen, ist ein Gebäudehaufen ohne Gesicht, Eigenart und Charme“, lobt Poth seinen Wohnort in der Eloge „O du mein Sossenheim“ mit aller gebotenen Differenziertheit. „Ganz ohne Charme empfand ich den Flecken ja nicht, als ich in ihm zu zeichnen begann. Ich fand ihn amüsant, manchmal sogar hinreißend, diesen Architekturmischmasch.“ Dass ausgerechnet Sossenheim die Ehre zuteil wurde, die malerische Kulisse für Poths Betrachtungen zu stellen, war eine schicksalhafte Folge des Pothschen Mietvertrages. Seine Wohnung im renommierten Frankfurter Nordend wurde gekündigt, im Alten Schulhaus zu Sossenheim stand eine Bleibe auf die Schnelle frei. Sofort sprühte die Inspiration: „Die meisten Motive fand ich im Umkreis von höchstens dreihundert Metern von meinem Arbeitstisch.“ So zeichnete Poth seinen Stadtteil, und wer zum ersten Mal durch Sossenheim fährt oder – wo möglich – geht, erkennt die Fassaden und Straßenkreuzungen sofort wieder. Die Pothschen Geschichten allerdings sind universell gültig, können sich genauso in Berlin wie in Kleinkrotzenburg zugetragen haben. Sossenheim ist eben überall.
Der König der Titanic
Chlodwig Poth kam am 4. April 1930 in Wuppertal zu Welt, vor achtzig Jahren also. Er wuchs auf in Berlin, wo er während der Bombardierungen im Luftschutzbunker seine ersten Karikaturen zeichnete, und wo er nach dem Krieg studierte. 1955 kam er nach Frankfurt und gründete dort 1962 zusammen mit Hans Traxler die Zeitschrift „Pardon“. 1979 verließen sie das Magazin wieder für die neue satirische Heimat der „Neuen Frankfurter Schule“ – das mittlerweile 30 Jahre alte Dickschiff „Titanic“. Traxler und Poth, so steht es in den offiziösen Biografien, sind somit die einzigen weltweit, die gleich zwei Satirezeitschriften gegründet haben. Kein Wunder, dass man Poth die „Krone“ antrug: 1990 wählte die Redaktion ausgerechnet das Karl-Marx-Double zum „Zonenkönig Chlodwig I.“
Der Grantler unter den Zeichnern
Ob er nicht mal „positive Satire“ machen könne, hat Richard von Weizsäcker den Grantler unter den Zeichnern einmal bei einer Talkshow gefragt. Eine einfältige Frage: „Es gibt keine positive Satire!“. Satiriker sind Berufsärgerer: „Du wachst morgens auf, bist eigentlich guter Laune, es ist ein schöner, heller Tag – und dann musst Du Dich hinsetzen und dich über irgendwas ärgern.“ Zum Beispiel über dich und mich. Und wie wir alle mit unseren Autos die Dorfkerne verunstalten, beispielsweise. Einem hageren Sossenheimer Beamten diktiert Poth die ultimative Lösung dieses Problems in die Sprechblase: „Sofort nach meinem Tod gehört die ganze Menschheit ausgerottet.“ Nachzulesen auf dem Titelbild des Ausstellungskatalogs „Poth für die Welt“.
Ein genialer Vereinfacher
„Er hat, glaube ich, nie eine Zeichnung begonnen, weil er einen Sachverhalt zum Lachen fand oder eine Gelegenheit sah, mit einer tollen Zeichnung zu brillieren“, erinnert sich sein „Neuer Frankfurter Schulfreund“ Hans Traxler im Vorwort zum Ausstellungskatalog: „Bei all seinen tausenden Cartoons und kurzen, langen oder sehr langen Bildergeschichten stand am Anfang ein großer Ärger. Irgendeine zum Himmel schreiende bodenlose Schweinerei trieb ihn an den Zeichentisch und hielt ihn dort für Stunden und Tage fest.“ Er war ein genialer Vereinfacher, sagt Hans Traxler. Das allgemeine Geraune und Schöngerede, das Klugscheißerische durchschnitt er mit einem kurzen Satz – der „meist so klar und einleuchtend war, dass jeder sich wunderte, wieso er nicht selbst darauf gekommen war“. Seine Sossenheimer lässt er diese Weisheiten wie nebenbei denken, sagen, nuscheln. „Abnehme, abnehme! Wieso eischentlisch soll hungere gesinder sei als sich aaständisch zu ernähre!?“, lässt er eine pummelige Rothaarige über ihren Doktor schimpfen. Und zwei Steppkes philosophieren: „Fußballprofi wer‘ ich nich. Biste ja wehrlos. Ich mach Eishokkei, da haste ne Waffe.“ Das gilt in Sossenheim, und es gilt überall.
Werke aus sechs Jahrzehnten im Museum
Einfach hat es sich Poth mit seinen Bildergeschichten nicht gemacht. Raus auf die Gass‘, den Sossenheimern an der Supermarktkasse kurz aufs Maul geschaut und dann schnell eine Geschichte hingekritzelt – das ging nicht. Poths Sehkraft ließ in den letzten Jahren immer mehr nach. Mit einem Vergrößerungsapparat hat er jeden Federstrich, jeden Zentimeter seiner „Sossenheimer Stadtschaften“ mühsam aufs Papier gebracht. Damit sie sicher verwahrt sind, hat er die meisten seiner über fünftausend Werke, die sich über die Jahrzehnte angesammelt hatten, dem Institut für Stadtgeschichte vermacht – einzeln trug er die Mappen ins Frankfurter Karmeliterkloster, wo sie das Museum für Komische Kunst jetzt für die Geburtstags-Ausstellung sichten konnte. Ab 11. April hängen die ausgewählten Werke aus über sechs Jahrzehnten im Frankfurter Museum für Komische Kunst.
Harald Ille
Die neue Wechselausstellung „Poth für die Welt“ läuft vom 11. Februar bis 25. April im caricatura museum frankfurt – Museum für Komische Kunst, Weckmarkt 17. Am Mittwoch, 10. Februar, eröffnet Kulturdezernent Felix Semmelroth im Beisein von Anna Poth ab 18 Uhr die Schau zusammen mit der Leiterin des Instituts für Stadtgeschichte Evelyn Brockhoff und dem Museumsleiter Achim Frenz. Die Laudatio hält Hans Zippert, die musikalische Umrahmung gestalten Anselm Wild und Frank Wolff. Die Ausstellung ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, mittwochs bis 21 Uhr.
Dieses Feature des Presse- und Informationsamtes ist erschienen am 2. Februar 2010.