Das Frankfurter Museum für Komische Kunst bekommt ein neues Haus
Frankfurt am Main (pia) Wir müssen F.W. Bernstein dankbar sein. Er hat die Blödelei unter “Pardon”-Kollegen geistesgegenwärtig zum Guten, Wahren, Schönen gewendet. “Die schärfsten Kritiker der Molche waren früher selber solche”, hatte Robert Gernhardt eines Nachts gekalauert – und hätte der “Neuen Frankfurter Schule” so um ein Haar ein arg glitschiges Wappentier aufgebrummt. Bernstein aber reimte flugs “Elche” auf “welche”, und das Maskottchen einer ungemein produktiven Satirikergruppe ward in einem Kleinwagen in Frankreich geboren.
Ein Elch bewacht den Eingang
Über vierzig Jahre ist diese denkwürdige Autofahrt her: “Genau der richtige Zeitpunkt für ein Museum also”, sagt Achim Frenz verschmitzt. Der Mitherausgeber der Satirezeitschrift Titanic und Leiter der “Caricatura” im Historischen Museum Frankfurt war und ist die treibende Kraft hinter der Idee eines eigenen Museums für Komische Kunst in Frankfurt – der Stadt “mit der höchsten Satirikerdichte in Deutschland”. Dieses neue Forum für zeitgenössische Satire öffnet seine Pforten am 1. Oktober und erweitert das Frankfurter Museumsufer um ein weiteres einzigartiges Ausstellungshaus mit einem von Hans Traxler gestalteten Elch aus Bronze vor dem Eingang.
Witz und Nonsens in einem ehrwürdigen Gebäude
Achttausend Blatt mit ätzender und subtiler Kritik, mit Witz und Nonsens hat das neue “MKK” bereits im Bestand, viertausend Blatt stammen direkt von den Zeichnern der “Neuen Frankfurter Schule”, von Robert Gernhardt und F.W. Bernstein, Chlodwig Poth und Hans Traxler. Die Stadt Frankfurt hat die meisten der Werke gekauft. “Die Zeichnungen wären im ganzen Land verstreut, wenn wir das nicht gemacht hätten”, so MKK-Leiter Achim Frenz. Nun stellt man den Zeichnern, Reimern, Malern und Bildhauern eines von Frankfurts ehrwürdigsten Gebäuden bereit: Das gotische Leinwandhaus unweit des Mainufers. Mit rund 2,7 Millionen Euro hat die Stadt das mittelalterliche Haus saniert und so Raum geschaffen für die Kunst der Frankfurter sowie die satirischen Ergüsse ihrer Kollegen deutscher Feder. Im ersten Stock bezieht die “Neue Frankfurter Schule” ihr Klassenzimmer, die wichtigsten Werke hängen als Dauerausstellung an den frisch getünchten Wänden. Im Erdgeschoss versammelt Museumschef Achim Frenz hingegen die komische Kunst anderer Humorschulen: Die erste Wechselausstellung ist dem Zeichner Bernd Pfarr gewidmet, der im November fünfzig Jahre alt geworden wäre. Im Januar zeigt das Leinwandhaus den “neuesten Stand” der FAZ-Zeichner Greser&Lenz, und im April begeht das Museum den 80. Geburtstag Hans Traxlers. Für museale Ruhe ist Frenz nicht zu haben: “Wir sind ein aktives Museum und reagieren auf aktuelle Themen”. Unerschrocken greift er daher auch Heikles auf – zur bevorstehenden Buchmesse mit dem Gastland Türkei organisiert das Karikaturenmuseum einen Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb. “Bestimmte Positionen haben wir, und die machen wir deutlich!”, sagt Achim Frenz. “Wir sind nicht dafür da, Spaß zu machen.”
Mit einem Anruf bei Fritz fing es an
Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth brachte das Museum im Leinwandhaus in trockene Tücher. Die Idee zum Ausstellungshaus reifte freilich schon unter seinem Amtsvorgänger Hans-Bernhard Nordhoff, den Achim Frenz aus Kasseler Zeiten kannte. Dort hatte Frenz Kunst studiert und Anfang der achtziger Jahre mit Studienkollegen an der Hochschule einen Lehrauftrag für den Zeichner F.K. Waechter organisiert: “Ich hab den Fritz angerufen” – und aus dem Seminar wurde ein Lebensprojekt mit einem ersten Höhepunkt auf der “documenta” 1987. “Wir waren zu dritt und dachten, wir machen eine kleine Ausstellung, hängen ein paar Bilder rein.” Am Ende zeigten sie die Werke von 70 Karikaturisten; 20.000 Besucher sahen diesen Querschnitt der deutschen Satirikerszene. Die “Caricatura” war geboren.
Frankfurt – ein Horchposten für Satiriker
“Karikaturen sind stilbildend für Frankfurt”, erläutert der Leiter des Historischen Museums, Jan Gerchow, warum es solch ein Museum nur in Frankfurt geben kann. Mit der Revolution von 1848 wurden Politsatiren in Deutschland bedeutend; Frankfurt als Medien- und Verlagsort und Stadt der Paulskirche übernahm in den folgenden Jahrzehnten hierbei eine führende Rolle. Vor allem nach 1945 zahlt sich die Lage der Stadt fernab der Landes- und Bundesregierungen satirisch aus, Frankfurt wird zum “Horchposten und Beobachtungspunkt”, hier wird kommentiert, gemeckert und Stellung bezogen – in Zeitungen und wissenschaftlichen Symposien. In der Stadt am Main, in der sich der kritische Geist in Adornos “Frankfurter Schule” konzentriert, fasst auch die Satire Fuß. “Es war ein Glück, dass sich die ‘Neue Frankfurter Schule’ bei der Zeitschrift ‘Pardon’ gefunden hat”, sagt Achim Frenz. “Dort hat sich ein besonderer Geist entwickelt, sie haben Nonsens ausprobiert.”
Den Zeichnern und Dichtern virtuell begegnen
Im dritten Stock des Leinwandhauses kann man den Zeichnern und Dichtern der “NFS” auch persönlich begegnen – virtuell zumindest. Aus Videos, die Ex-Titanicchef Oliver Maria Schmitt mit den Heroen des spitzen Stiftes einst gedreht hat, wird das Museum einen Interviewreigen zusammenschneiden. Die Lebensdaten, Texte und Skizzen der acht Frankfurter sind außerdem elektronisch in der Media-Lounge im dritten Stock hinterlegt. Die digitale Ausstattung des mittelalterlichen Gemäuers am Weckmarkt macht’s möglich. Dort entscheidet sich auch eine wichtige Frage der Frankfurter Stadtgeschichte: War es wirklich eine Hirschkuh, die dem Frankenkönig Karl dem Großen den Weg über die Furt zeigte? Oder war es nicht doch eher ein Elch…?
Harald Ille
(erschienen als Feature des Presse- und Informationsamtes am 18. September 2008)