Harald Ille
am
20. November 2007

Die Oberflächlichkeit verbessern

In dieser Woche kommt die europäische Nanotechnologie-Branche in Frankfurt zusammen. Gleich vier Veranstaltungen, darunter eine Leitmesse zu dieser Zukunftstechnik, machen die „Mini-Metropole“ offiziell zum kontinentalen Zentrum des Allerkleinsten. Doch Frankfurt stellt „Nano“ nicht nur aus, Frankfurt stellt „Nano“ auch her.

Europas Nano-Forscher und Nano-Unternehmer treffen sich auf dem Messegelände

Frankfurt am Main (pia) Muscheln sind ein glibberiges Zeug. Und so klebrig, dass sie Wind und Wellen trotzen und vorwitzig an Schiffsrümpfen um die Welt schippern. Das Sekret, das die Miesmuschel „Mytilus edulis“ in einer ihrer Drüsen produziert, haftet besser an Metall und Holz, Glas und Knochen als viele technische Klebstoffe – und hält auch im Mund. Der Frankfurter Mediziner Robert Sader klebt mit dem Superleim aus dem Meer Zahnimplantate wackelfest auf den Kiefer. Das Besondere an dem Pattex aus der Muschel ist, dass seine Klebeproteine erst im Wasser aushärten und dort lange beständig und trotzdem elastisch bleiben – geradezu ideal für feuchte Umgebungen wie Mundhöhlen oder Brustkörbe. Wenn es so klappt, wie wir uns das vorstellen, könnte man zukünftig zum Beispiel eine Herzklappe einkleben statt sie einzunähen, sagt der Direktor der Mund-, Kiefer- und Plastischen Gesichtschirurgie des Frankfurter Uni-Klinikums. Die Nanotechnik macht schier Unglaubliches möglich.

In Frankfurt trifft sich die Zukunftsbranche auf einer der wichtigsten Messe für das ganz Kleine: Die „nanotech+material week“ bündelt bis Freitag, 23. November, eine europäische Leitmesse und drei Fachkongresse zur Fortschrittstechnologie des Winzigen auf dem Frankfurter Messegelände. Neben der „NanoSolutions“, die sich mit über 130 Ausstellern augenzwinkernd „Europas größtes Nano-Event“ nennt, kommen über sechzig Referenten aus unterschiedlichsten Fachgebieten zum Nanotechnologieforum Hessen zusammen – der führenden Fachkonferenz dieses Forschungszweiges in Deutschland. Der Chemiker-Verband Dechema diskutiert in seinen „Chemical Nanotechnology Talks“ über den Nutzen neuer Materialien für die Energieversorgung und den Umweltschutz, und die Fachmesse „Material Vision“ zeigt, wie diese innovativen Materialien zu gelungenem Design geformt werden können. Die große Welt des Kleinsten füllt so das Messegelände der kleinsten Metropole der Welt.

Hessen und seine größte Stadt sind führende Standorte dieser Zukunftstechnologie. Über einhundert Unternehmen verdienen in dem kleinen Bundesland ihr Geld mit Nanotechnik, und über 70 Forschungsgruppen schauen immer „tiefer“ in die winzigen molekularen Strukturen unserer Materie hinein. Leuchtmoleküle für Flachbildschirme, Autoreifen mit reduziertem Abrieb und Nano-Teakholzschutz werden bereits in Hessen hergestellt – mit winzigsten Strukturen, die in ihrem Inneren schlummern. Oder auf den Oberflächen „schuften“.

Etwa auf Silizium-Chips. Die Chemiker um den Frankfurter Forscher Bernd O. Kolbesen entwickeln mit ihrer Grundlagenforschung verschiedene Verfahren, um ultradünne Metallschichten auf solche Chips aufzudampfen – natürlich im Nanometerbereich. Auch Proteine lassen sich mit „Nanolithografie“ auf einen solchen Chip „schreiben“. Ein Forscherteam um den Biochemiker Robert Tampé hat das Verfahren entwickelt: Mit einem Rasterkraftmikroskop können wie bei der Formatierung einer Festplatte winzigkleine Eiweißstrukturen auf dem Proteinchip platziert, wieder gelöscht und neu beschrieben werden. Ganze Zellstrukturen lassen sich so auf den Biochips nachbilden. Um echte synthetische Maschinen bauen zu können, wird man aber noch das „Löten“ so genannter „Nanotubes“ mit Laserpulsen lernen müssen. Theoretische Physiker wie Maria Valntí und Harald Jeschke planen bereits Studien dazu.

„Nanotubes“ sind die derzeitigen Renner in diesem Forschungsgebiet und auf der Messe: Ein dünnster Film dieser Kohlenstoffröhrchen ist durchsichtig und leitet Strom, sie reduzieren enorm die Materialkosten und können Windschutzscheiben und Badezimmerspiegel unsichtbar beheizen – kleine Wunderdinger für die Oberflächen von morgen. Die Frankfurter DeCie GmbH versiegelt mit ihren Nano-Produkten jedoch heute schon fast alles, was eine Oberfläche hat. Lederschuhe werden mit Nano-Knowhow imprägniert, Leichtmetallfelgen behalten ihren Glanz, Backöfen sind schneller fettfrei – Milliarden der mikroskopischen Teilchen schützen die Materialien. Ob Nanopartikel gesundheitsschädlich sind, ist noch unklar. Frankfurter Pharmazeuten hoffen aber, dass sie im menschlichen Körper segensreich wirken können. Jörg Kreuters Wissenschaftlerteam nutzt die Fähigkeit der kleinen Teilchen, sich etwa in Tumoren festzusetzen. Die bis zu einem Milliardstel Meter kleinen Partikel könnten Arzneiwirkstoffe huckepack mitbringen und sie in den Krebszellen gezielt und über einen längeren Zeitraum kontrolliert abgeben. Zelldoktoren im Einsatz.

Frankfurter Physikdoktoren sind mit ihrer Grundlagenforschung auch auf der Messe präsent. Vier Uni-Professoren durchleuchten mit ihren Mitarbeitern die Physik des Millionsten Teil eines Millimeters, erforschen Nanomagnetismus und Terahertz-Strahlung – und züchten komplexe Kristalle. Die Frankfurter Firma Geohumus denkt nicht in solch kleinsten Strukturen. Sie setzt Nanotechnik auf der Arabischen Halbinsel oder im trockenen Afghanistan im Riesenmaßstab ein: Die mehrfach ausgezeichnete Nano-GmbH will mit ihrem Superabsorber nichts weniger als die Wüste erblühen lassen. Das Frankfurter Spezialgranulat kann das 30-fache seines eigenen Gewichtes an Wasser speichern und dabei die Pflanzen, die auf dem „Geohumus“ wachsen, mit dringend benötigten Nährstoffen versorgen. Unscheinbar erdfarben ist das Hochleistungspolymer, aber es ist ein wahres Wundermittel für die Böden trockener Gebiete: Es verhindert das Versalzen, hält in sandigen Untergründen die Feuchtigkeit fest und hilft zusätzlich noch, bei der Bewässerung zu sparen. Dafür hat der Bundespräsident das Frankfurter Unternehmen jüngst ausgezeichnet.

Harald Ille

Dieser Text ist als „Wochendienst“ des Presse- und Informationsamtes am 20. November 2007 erschienen.

Harald Ille

Zwölf Jahre war ich Corporate Communicator einer deutschen Großstadt. Kommunale Kommunikation liegt mir weiter am Herzen.