Kurt Tucholsky: Ratschläge für einen schlechten Redner

Ich verstoße hiermit einmal sehenden Auges gegen das Urheberrecht und veröffentliche Kurt Tucholskys geniale Anleitung hier in voller Länge. Der Text ist beispielsweise zu finden in Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke Bd. III, Reinbek bei Hamburg. Rechts der Amazon-Affiliate-Link dazu.


Fange nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: „Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz aufzeigen…“. Hier hast Du schon ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht:

  • eine steife Anrede;
  • der Anfang vor dem Anfang;
  • die Ankündigung, dass und was Du zu sprechen beabsichtigst und
  • das Wörtchen kurz.

So gewinnst Du im Nu die Herzen und die Ohren der Zuhörer.
Denn das hat der Zuhörer gern: dass er Deine Rede wie ein schweres Schulpensum aufbekommt; dass Du mit dem drohst, was Du sagen wirst, sagst und schon gesagt hast. Immer schön umständlich.
Sprich nicht frei – das macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es: Du liest Deine Rede ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach jedem viertel Satz misstrauisch hoch blickt, ob noch alle da sind.
Wenn Du gar nicht hören kannst, was man Dir so freundlich rät, und Du willst durchaus und durchum frei sprechen… Du Laie! Du lächerlicher Cicero! Nimm Dir doch ein Beispiel an unseren professionellen Rednern, an den Reichstagsabgeordneten – hast Du die schon mal frei sprechen hören? Die schreiben sich sicherlich zuhause auf, wann Sie „Hört! hört!“ rufen… ja also, wenn Du denn frei sprechen musst:
Sprich wie Du schreibst. Und ich weiß, wie Du schreibst.
Sprich mit langen, langen Sätzen – solchen, bei denen Du, der Du dich zu Hause, wo Du ja die Ruhe, deren Du so sehr benötigst, Deiner Kinder ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weißt wie das Ende ist, die Nebensätze schön ineinandergeschachtelt, so dass der Hörer, ungeduldig auf seinem Sitz hin und her träumend, sich in einem Kolleg wähnend, in dem er früher so gerne geschlummert hat, auf das Ende solcher Periode wartet… nun, ich habe Dir eben ein Beispiel gegeben. So musst Du sprechen.
Fang immer mit den alten Römern an und gib stets, wovon Du auch sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache. Das ist nicht nur deutsch – das tun alle Brillenmenschen. Ich habe einmal in der Sorbonne einen chinesischen Studenten sprechen hören, der sprach glatt und gut französisch, aber er begann zu allgemeiner Freude so: „Lassen Sie mich Ihnen in aller Kürze die Entwicklungsgeschichte meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor Christi Geburt…“. Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten.
So musst Du das auch machen. Du hast ganz recht: man versteht es ja sonst nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen Hintergründe … sehr richtig! Die Leute sind doch nicht in Deinen Vortrag gekommen, um lebendiges Leben zu hören, sondern das, was sie auch in den Büchern nachschlagen können… sehr richtig! Gib ihnen immer Historie, immer!
Kümmere Dich nicht darum, ob die Wellen, die von Dir ins Publikum laufen, auch zurückkommen – das sind Kinkerlitzchen. Sprich unbekümmert um die Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich, mein Guter, Gott wird es Dir lohnen.
Du musst alles in die Nebensätze legen. Sag nie: „Die Steuern sind zu hoch“. Das ist zu einfach. Sag: „Ich möchte zu dem, was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, dass mir die Steuern bei weitem…“ So heißt das!
Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor – man sieht das gern. Wenn Du einen Witz machst, lach vorher, damit man weiß wo die Pointe ist.
Eine Rede ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog. Weil doch nur einer spricht Du brauchst auch nach vierzehn Jahren öffentlicher Rede noch nicht zu wissen, dass eine Rede nicht nur ein Dialog, sondern ein Orchesterstück ist: eine stumme Masse spricht nämlich ununterbrochen mit. Und das musst Du hören. Nein, das brauchst Du nicht zu hören. Sprich nur, lies nur, donnere nur, geschichtele nur.
Zu dem, was ich eben über die Technik der Rede gesagt habe, möchte ich noch kurz bemerken, dass viel Statistik eine Rede immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.
Kündige den Schluss Deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer vor Freude nicht einen Schlaganfall bekommen. (Paul Lindau hat einmal einen diesen gefürchteten Hochzeitstoast so angefangen: „Ich komme zum Schluss.“).
Kündige den Schluss an, und dann beginne Deine Rede von vorne und rede noch eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere Male wiederholen.
Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es gar nicht erst anzufangen. Wenn einer spricht, müssen die anderen zuhören – das ist Deine Gelegenheit! Missbrauche sie.

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