Auf einem Acker etwa 15 Kilometer nordöstlich von Bodman-Ludwigshafen am Bodensee steht eine Photovoltaik-Anlage, die etwas anders aussieht als die, die wir sonst kennen. Sie ist hoch aufgeständert, damit die Landwirte der Hofgemeinschaft Heggelbach locker mit dem Mähdrescher drunter durchfahren können. Die einzelnen Solarmodule haben einen relativ weiten Abstand zueinander, damit genug Licht auf den Acker fallen kann. Ich liebe so etwas: Innovation, effiziente Doppelnutzung, Steckrüben und Strom von derselben Parzelle: Win-Win!
Die Anlage ist ein Forschungsprojekt, bei dem die Hofgemeinschaft mit der Universität Hohenheim und dem Fraunhofer Institut ISE erforscht, wie und ob Agriphotovoltaik in der Praxis funktionieren kann. Die großen Vorteile auf dem Papier: Weniger Flächenkonkurrenz, bessere Verschattung, Schutz der Früchte vor Hagel oder zu viel Regen – und nebenbei wird Energie für den Hof erzeugt. Win-win also wieder. Könnte man denken.
Die Anlage funktioniert. Doch ist sie wirklich die Zukunft der Energieerzeugung? Der sehr innovative und solarfreundliche Betreiber ist entgegen meiner Erwartung skeptisch. Er nennt eine Menge sehr plausibler Gründe dafür. Sein wichtigstes ethisches Argument: Wir als deutsche Gesellschaft schätzten Energieversorgung wichtiger und wertvoller ein als Lebensmittelproduktion. Für Solarstrom über dem Acker gäbe es mehr Geld als für die Früchte vom Acker. Das seien die falschen Prioritäten, und ich muss ihm zustimmen.
Photovoltaikplanungen würden am Schreibtisch skizziert, so der Landwirt. Auf die reale Situation vor Ort seien sie nicht immer übertragbar. Besser wäre es, sagt er, erstmal auf allen Flachdächern und Parkplätzen von Lidl, Aldi, Netto, Rewe, Edeka, etc. Solaranlagen aufzuständern – und den Strom dort auch gleich zu verbrauchen. Auf dem Acker könne man die Photosynthese sinnvoller nutzen als die Photovoltaik. Und wieder muss ich ihm zustimmen.
Dort auf den Dächern und Parkplätzen stehen die Solarpaneele nicht in Konkurrenz zu Möhren, Pastinaken, Mais oder Hirse und verringern keinen Ertrag. Man könne zwar fast alles anbauen unter der Anlage, aber: “Mais geht nicht. Und ich befürchte, Hirse wird nicht reif.” Die Liste der Früchte, die der Landwirt in Absprache mit der Universität Hohenheim schon angepflanzt hat, ist beachtlich. Grundsätzlich klappt es also.
“Ich habe 15 bis 20 Prozent mehr Aufwand, 30 Prozent weniger Ertrag – und die Anlage selbst liefert auch nur 80 Prozent” – der Anbau unter der Anlage bleibt also ein Kompromiss.
Warum also überhaupt auf den Acker gehen mit Solarmodulen? Sie haben ihre Berechtigung im Obst- und Weinbau, wo über den Früchten ohnehin ein Hagelschutznetz flattert. Oder in der Viehzucht: Hühner, Schweine, Schafe, Kühe – sie mögen ein schattiges Dach. Hühner etwa sind vor Raubvögeln geschützter, Schweine haben eine empfindliche Haut, der zu viel Sonne schadet. Es sind also spezielle Use Cases, bei denen Agriphotovoltaik einen Nutzen bringt. Aber eben nicht generell.
Der eindrücklichste Grund aber, warum Agriphotovoltaik derzeit so im Trend liege, sei ein profan politischer. Solaranlagen seien auf dem Acker schneller installiert als auf einem Dach in einem Wohngebiet, und sie seien günstiger. Das kann ich nicht nachprüfen, aber auch das klingt plausibel: Deutschland hat die Energiewende lange verschlafen, spätestens seit dem Ukrainekrieg müssen nun schnell alternative Stromquellen her. Auf dem Acker hat’s Platz und es kostet weniger. Win-win erneut.
Ich bin überrascht, weil ein Praktiker, der der Solarenergie wohlwollend gegenübersteht, mit seinem differenzierten Bild meine naive Euphorie eintrübt. Agriphotovoltaik ist für den Betreiber der berühmten Anlage nördlich von Überlingen eine Einnahmequelle. Weil Strom besser bezahlt wird als ein Pfund Kartoffeln. Und ich frage mich, ob aus falschen Prioritäten heraus wirklich unsere Äcker aufgeständert werden müssen, während an der Autobahn, an Bahnsteigen, über Parkplätzen, auf Fabrikhallen, Schulen, Sporthallen die Sonne ungenutzt auf die Oberfläche knallt und bspw. die Autos auf den Parkplätzen so erhitzt, dass die Möhren, Kartoffeln und Pastinaken zu einer schmackhaften Suppe köcheln würden.
Die Anlage ist ein Prototyp. Aufgebaut, um auszuprobieren, was geht und was eben nicht. Heute gibt es bessere Technik und viele Erkenntnisse aus den Forschungen. Heute wären die Solarmodule drehbar und nicht mehr so hoch oben angebracht. Sie würden der Sonne nachgeführt über den Tag. Er könnte sie senkrecht runterklappen bei Regen und wenn er mit dem Traktor durchfahren möchte. Eventuell, sagt der Landwirt, würde er sich eine zweite Anlage anlegen in der Zukunft. Weil es eben mehr Geld für Strom gibt als für Lebensmittel.
30 Prozent mehr Ertrag bei Kartoffeln im heißen und trockenen Sommer 2018 als auf der Vergleichsfläche – das Ergebnis wird immer wieder zitiert, um den Nutzen von Agriphotovoltaik zu belegen. Aber: Das war nur eine Ernte in einem einzigen Jahr. Eine Zufallsernte? Nicht ganz, die Beschattung der Anlage hat schon dafür gesorgt, dass die Feuchtigkeit länger im Boden blieb. Aber genau diese Beschattung sorgt ansonsten eben für geringeren Ertrag. Kein Win-Win. In nassen Jahren steigt dafür die Erosion, weil der Regen konzentriert von den Modulen auf den Boden tropft. Kein Win-Win.
Ich bin etwas ernüchtert. Die tolle Idee mit dem Strom vom Acker ist wohl eher für Gartenbaubetriebe geeignet. Im großen Stil für alle Ackerflächen Deutschlands ist sie – derzeit – jedenfalls noch nichts.